Jugendbegegnung 2012

 

Hühnerfüße süß-sauer bis zur Chinesischen Mauer

Siegener Jugendliche waren „zu Gast bei Freunden“ in China

 

Am 7. Juli 2012 führte der Weg 11 Schülerinnen und Schüler mit zwei Betreuerinnen aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein in den Partnerkreis Deyang in der Provinz Sichuan in China. Zuerst wurde ein Kleinbus Richtung Frankfurt bestiegen und aufgeregt die ersten Informationen über die Gastgeber, welche bereits vereinzelt E-Mail Kontakt zu den deutschen Jugendlichen aufgenommen hatten, ausgetauscht.

In Frankfurt angekommen, hieß es zuerst einmal als Gruppe einchecken und den Weg zum richtigen Gate finden. Gate 22 wurde zu unserem „Tor ins Glück“, denn mit einer kurzen Zwischenlandung in Abu Dhabi ging der Flug über die atemberaubenden Landschaften der Vereinigten Arabischen Emirate, Pakistans und Indiens bis schließlich über Teile der Wüste Gobi bis nach Chengdu weiter. Bereits am Flughafen von Abu Dhabi konnten wir aufgrund des Flugzeugumstiegs einen deutlichen Temperaturunterschied in die höheren Bereiche jeglicher Thermometer feststellen und somit erschien der Unterschied an das chinesische Wetter aus starker Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit nicht mehr allzu schlimm. Mit den Einreisestempeln in unsere chinesischen Visa ging es erneut mit einem Bus in die nördlich von Chengdu gelegene Partnerstadt Deyang, wo uns bereits unsere chinesischen Freunde „Herzlich Willkommen“
hießen.

Zunächst schien die Müdigkeit verflogen, aufgrund der neuen Umgebung aus Wolkenkratzern, neben traditionellen Kleinbauten, wahnsinnigem Verkehrsaufkommen, viel Leuchtreklame, aber auch neuen Gerüchen, einer anderen Sprache und Schriftzeichen, die uns direkt das Bild einer völlig anderen Welt vermittelten. Aber dieser erste Abend des 8. Juli 2012 wurde aufgrund des Jetlags bald in einem neuen Zimmer in einem neuen Haus mit einer neuen Familie ruhig beendet.

Denn schon am nächsten Tag galt es die Gastfamilie besser kennenzulernen und in den chinesischen Alltag einzutauchen. Dies begann mit der Neuheit mit Stäbchen zu essen und zwar drei Mal am Tag eine warme Mahlzeit aus vielen verschiedenen und manchmal auch sehr exotischen Leckereien. Nachdem wir, meine chinesische Partnerin Elena und ich, den ersten Tag damit verbracht hatten uns durch Gespräche und den Besuch eines Parks sowie eines Konfuzius-Tempels besser kennenzulernen, stand uns am nächsten Tag eine längere Reise bevor, welche uns Deutsche gemeinsam mit unseren chinesischen Freunden in die Provinz Shaanxi und zwar in die Stadt Xi'an führte. Vorbei an Reisfeldern im traditionellen Terrassenanbau, über Flüsse, an traditionellen chinesischen Dörfern und Obstverkäufern, durch Schluchten hindurch, an Berghängen entlang genossen wir es, die Landschaften an uns vorbeiziehen zu sehen und der Ein oder Andere bekam Lust auf mehr. Sodass wir voller Vorfreude auf die noch vor uns liegenden Tage in dieser bedeutenden Stadt blickten.

Direkt am nächsten Tag führte uns unser Weg zum berühmten Mausoleum Qín Shihuángdís, welches eines der größten und weltweit bekanntesten Grabbauten ist. Und dies nicht zuletzt aufgrund der zufällig im Jahr 1974 entdeckten Terrakotta-Krieger, welche wir fasziniert bestaunen durften.

Zu sehen, wie immer noch Archäologen und Wissenschaftler gemeinsam Hand in Hand an den Ausgrabungen, der im Jahr 221 v. Chr. erbauten Anlage mit einer Gesamtfläche von 56 Quadratkilometern, arbeiten, war absolut gigantisch. Geschichte wurde ein Stück erfahrbar und man erlebte ein Stückweit, wie Altertum und Moderne genau hier aufeinandertrafen und sozusagen zusammenarbeiteten. Denn weiterhin werden die Entwicklungen neuster Technologien dazu eingesetzt, um diese historisch wertvollen Terrakotta-Krieger, als Beweisstücke für die Jahrtausende alte chinesische Geschichte zu erhalten, um sowohl dem ersten chinesischen Kaiser Qín Shihuángdí (zu dessen Ehren dieses Mausoleum mitsamt der Terrakotta-Armee errichtet wurde), aber auch, um den über 700.000 Arbeitern, die bei ihrer Arbeit an diesem Mausoleum womöglich gestorben sind, ein Denkmal zu errichten.

Doch es warteten noch weitere Höhepunkte auf uns in der bedeutenden Stadt Xi'an, welche früher als Ausgangspunkt für die Seidenstraße galt. So wurde die Stadtmauer von Xi'an für einige unserer Gruppenmitglieder zu einem erlebnisreichen Rundweg, welcher teilweise per Pedes entdeckt wurde, wobei man die Temperaturen über 30° Celsius nicht unerwähnt lassen sollte.

Anschließend führte uns unser Weg durch eine wunderschöne Parkanlage zur Großen Wildganspagode, wo wir einen kleinen Einblick in den Buddhismus erhielten, verschiedene Buddha-Figuren bestaunten und Mantra-Gesängen lauschten.

Sehr zur Faszination und nunmehr auch Einkaufslust trug der Besuch des “Muslim-Viertels“ bei. Ein Netzwerk aus Gassen gesäumt von vielen kleinen Geschäften. Der unüberhörbare Lärmpegel kündigte bereits von weitem das quicklebendige und fröhliche chinesische Leben in diesen Straßen an. Rechts und links von uns befanden sich kleine traditionelle Gebäude, in denen bzw. vor deren Türen geschäftstüchtige Händler die verschiedensten Waren feil boten. Während mich von rechts also karamellisierte Früchte auf Spießen und getrocknete Früchte in allen Farben und Formen durch ihren Geruch anzogen, zwitscherte über meinem Kopf in einem Baum neben den Leuchtstangen (welche nachts die Bäume erhellten) in einem kleinen Käfig einer der Singvögel, welche sich bevorzugt ältere Chinesen als Haustiere halten und einfach tagsüber in ihren Käfigen in die Bäume hängen. Links von mir forderte mich dann eine Kalligraphie-Künstlerin auf näher zu treten, um ihr bei der Arbeit über die Schulter zu gucken und fasziniert ihre flinken Bewegungen mit Pinsel und Tusche mit meiner Kamera einzufangen. Während mich Händler am nächsten Stand zu einem exotischen Gaumenerlebnis von Fleischspießen in allen Variationen einluden oder mir in der nächsten Gasse Luft zu gefächelt wurde, um einen der schönen bunten oder gut riechenden (Sandelholz-)Fächer zu erstehen. In Zusammenarbeit mit unseren chinesischen Partnern und den wenigen bereits erlernten chinesischen Worten stürzten wir uns somit ins Abenteuer der Gassen und feilschten, um die verschiedensten interessanten Dinge, welche uns ein wenig chinesisches Leben mit nach Deutschland transportieren sollten und unsere Faszination geweckt hatten.

Zurück in Deyang hatte man nun also „seine(n)“ chinesische(n) Partner/in noch besser kennengelernt und so verliefen auch die weiteren Tage in der Gastfamilie sehr interessant und spannend. Im Kreise der Familie gab es für mich dann das abenteuerliche Erlebnis “Hot-Pot“ zu essen. Dies ist eine Fondue-ähnliche Spezialität, bei der die verschiedensten Fleisch-,Fisch-& Gemüsespezialitäten in einem heißen Topf in der Mitte erwärmt werden, um danach gemeinschaftlich daraus gegessen zu werden. Es ist ein traditionelles Gericht in der Provinz Sichuan, welches meine Familie mir stolz präsentierte, um danach noch, wie viele Chinesen, in einem der Parks in der Nähe ihrer Wohnungen spazieren zu gehen. An diesem wunderschönen lauen Sommerabend zeigte mir meine Gastfamilie eine wunderschöne chinesische Pagode, welche auf einem Berg gelegen ist und den Besucher nach einer Besteigung der zahllosen Treppen mit einem wunderschönen Blick über die Stadt Deyang und seine nächtliche Beleuchtung belohnt.

Das Wochenende in meiner Gastfamilie wurde sehr speziell zelebriert, da mein Gastvater unter der Woche nicht bei uns, sondern in der zweiten Wohnung in Chengdu wohnt und dort zur Arbeit geht. Aus diesem Grund war es sehr besonders, dass der Vater sich am Samstagmorgen für Elena und mich Zeit nahm, um mit uns zu einem Onkel zu fahren, der mich in die Kunst der Kalligraphie einführte. Die kleine, typisch chinesisch eingerichtete Wohnung im fünften Stockwerk war gesäumt von selbst gemalten Bildern der Tante sowie Kalligraphie Schriftrollen des Onkels, die darin ihr Hobby gefunden haben und es tagtäglich zu perfektionieren versuchen. Ihr eigens dafür eingerichtetes Atelier in der Wohnung enthielt zahlreiche Schriftrollen, Übungsbücher, Pinsel und der leicht herbe Duft von Tusche zog mir in die Nase, während ich dem Onkel über die Schultern sehen durfte, wie er ein Gedicht des großen Führers Mao Tse-Tung auf fein glitzerndes Seidenpapier auftrug. Absolute Perfektion & graziöse Handarbeit! Ich war hin und weg, bei diesem Anblick.

Doch es sollte noch nicht die letzte Überraschung für dieses gemeinsame Wochenende gewesen sein. Der Nachmittag hielt für mich einen Einblick in das vornehme Leben der Familie in der zweiten Wohnung im Internationalen Viertel von Chengdu bereit. Es ist die Stadt, wo meine Partnerin eine Art Fremdsprachen-Internat besucht und in welche sie mich auch einmal mitnahm, um mir ihre Schule und ihr dortiges Schulleben ein wenig näher zu zeigen. Darüberhinaus besuchten wir eine besonders alte Prachtstraße von Chengdu, ein Panda-Reservat, das Sanxingdui (Bronze-Masken) Museum und genossen einfach die gemeinsame Zeit. So führte mich beispielsweise mein Gastvater in die Kunst einer traditionell chinesischen Teezeremonie ein und meine Gastmutter lehrte mich ein traditionell chinesisches Rezept für „Jiautze“, welches delikate kleine mit Chinakohl gefüllte Maultaschen-ähnliche Teigstücke sind. Ebenfalls fanden wir die Zeit für interessante Gespräche über die verschiedenen Kulturen, unsere Familien, aber auch ganz persönliche Vorlieben. So entdeckten Elena und ich viele Gemeinsamkeiten und schmiedeten Pläne für weitere Aktivitäten.

In den darauffolgenden Tagen fanden wir also gemeinsame Zeit mit weiteren Deutschen und Chinesen, um gemeinsam Badminton zu spielen, ein Showkochen zu besuchen oder in den Abendstunden eine Karaoke-Bar oder ein Spiele-Cafe zum Kartenspielen zu besuchen.

Ebenso wie wir gemeinsam die Yangjia Junior Mittelschule in Deyang besuchten, wo durch die partnerschaftliche Hilfe aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein nach dem schweren Erdbeben im Jahr 2008 eingestürzte Gebäude wieder aufgebaut und von der GDCF Siegen Schüler-Stipendien eingerichtet werden konnten, welche im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an die Schüler und Schülerinnen übergeben wurden. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Kinder teilweise nach dem schweren Erdbeben in Zelten unterrichtet wurden und wir nun mitten unter ihnen wärmstens aufgenommen und mit strahlenden Gesichtern begrüßt wurden und uns dann sogar noch jedes der Kinder etwas kleines selbst gebasteltes überreichte, überwältigte uns wirklich sehr.

Nach so vielen wunderbaren Erlebnissen in Deyang und der Umgebung fiel mir und uns Deutschen im Allgemeinen der Abschied von unseren chinesischen Freunden sehr schwer. Am Ende der 12 Tage hatte sich für mich ein wirkliches Wohlfühl-Gefühl in meiner Gastfamilie eingestellt. Besonders meine Gastmutter und meine Partnerin Elena waren mir in der Zeit sehr ans Herz gewachsen und Momente sowie gemeinsame Erlebnisse liefen vor meinem inneren Auge noch einmal in Zeitlupe vorüber, als ich mit den anderen Deutschen den Kleinbus bestieg, der uns zum Flughafen nach Chengdu und von dort aus mit dem Flugzeug nach Peking bringen würde.

Der Gedanke an das freudige Wiedersehen im nächsten Sommer erleichterte den Moment des Abschieds und es vermischte sich mit einem Anflug von Vorfreude auf die Hauptstadt Peking.
  Pekingenten auf dem Weg zum Restaurant

Hier, in Peking, vergingen die Tage wie im Flug bei zahlreichen Aktivitäten wie dem Besuch der chinesischen Mauer, dem Tian An Men Platz (Platz des Himmlischen Friedens), der verbotenen Stadt, dem Pearl Market, einer Akrobatik-Show und dem Künstlerviertel 798. Ebenso wurde eine traditionelle Tee-Zeremonie, eine nachgebaute alt-Chinesische Einkaufsstraße, eine traditionell chinesische Apotheke und der Himmelstempel beziehungsweise die „Beijing Planning Exhibition Hall“ besucht. Tage, die bunter nicht hätten gefüllt sein können und die Spaß bereiteten, während man die Hauptstadt von vielen Seiten her kennenlernte.

Alles in allem war es eine wundervolle, ereignisreiche und abenteuerliche Zeit, in der wir unglaubliche Freundschaften mit unseren chinesischen Gastgebern knüpfen und einen Einblick in das chinesische Leben bekommen konnten. In vielerlei Hinsicht war es eine prägende Erfahrung, die ich nicht missen möchte und nun freuen wir uns alle sehr, mit den Chinesischen Partnern in regem E-Mail Kontakt zu bleiben, bis wir sie dann im nächsten Jahr „Herzlich Willkommen“ heißen dürfen und ein Stückchen der Gastfreundschaft, die uns entgegengebracht wurde, zurückgeben zu können.

 

Stefanie Profus