China gewinnt im Systemvergleich

Der chinesische Erfolg bei der Bewältigung der Corona-Krise stellt alte Gewissheiten in Frage. Ist die technische Autokratie der westlichen Demokratie überlegen?

Jürgen Gerhards und Michael Zürn (Gastbeitrag)

11.01.21 FAZ (aktualisiert 13.01.21)

 

Lange Zeit gingen Sozialwissenschaftler davon aus, dass das liberale Gesellschaftsmodell der Königsweg gesellschaftlicher Entwicklung und Modernisierung sei, insbesondere nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Doch es kam anders. Existierende liberale Demokratien erwiesen sich als weitaus instabiler, wie die autokratischen Entwicklungen in den USA, Polen oder Ungarn zeigen. Und bestehende Autokratien wie vor allem China entpuppten sich als enorm erfolgreich.

Der Aufstieg Chinas hat eindrucksvoll gezeigt, dass sich zentrale, von den Bürgern einer Gesellschaft wertgeschätzte Ziele auch ohne Demokratie und mit einer autoritären kommunistischen Parteiführung erreichen lassen. Zu diesen gesellschaftlichen Gütern gehören unter anderem die Wohlstandssteigerung und die Verbesserung der Konsummöglichkeiten, die innere und äußere Sicherheit, die Verbesserung der Bildung und nicht zuletzt eine gute Gesundheitsversorgung.

China verkörpert einen neuartigen Typus eines autokratischen Systems, der im Gegensatz zu früheren systemischen Herausforderern der demokratischen Ordnung beides zugleich ist: anders und sehr erfolgreich. Dass China anders als jede liberale Ordnung funktioniert, hat sich in den vergangenen Jahren am augenfälligsten an der Unterdrückung der Uiguren und der Demokratiebewegung in Hongkong gezeigt. Zugleich ist das System enorm erfolgreich.

Auf den ersten Blick ist China der eindeutige Gewinner beim zentralen Thema des Jahres - Corona. Und auch fast alle Wirtschaftsindikatoren zeigen in China seit Sommer 20 wieder noch oben.

Doch es wäre falsch, Demokratien die Fähigkeit zu einem erfolgreichen Umgang mit einer Pandemie abzusprechen. Neuseeland, Australien, Südkorea und Japan haben gezeigt, dass man durchaus sehr erfolgreich in der Pandemiebekämpfung sein kann. Es hat sich allerdings gezeigt, dass in westlichen Ländern viel energischer und effizienter in den digitalen und personellen Ausbau der Gesundheitsämter hätte investiert werden müssen. Auch die digitalen Tracking-Systeme sind nur halbherzig ausgebaut und umgesetzt worden. Der Schutz der Privatsphäre gilt in westlichen Ländern als sakrosankt, vor allem gegenüber staatlichen Einrichtungen. Südkorea hat gezeigt, dass erfolgreiches Tracking von Personen und Schutz der Privatsphäre durchaus gut vereinbart werden können.

Bei der Gefahreneinschätzung im Zuge der Digitalisierung ist in westlichen Ländern eine eigenartige Schieflage zu erkennen. In Westeuropa und Nordamerika neigt man vor diesem Hintergrund dazu, dem Staat digitale Eingriffe in die Privatsphäre weitgehend zu untersagen, aber zugleich der Kolonisierung der persönlichen Daten durch private Digitalgiganten tatenlos zuzusehen. Und natürlich ist auch der Staat an Recht und Gesetz gebunden und muss konsequent kontrolliert werden. Und bei jedem Euro für die staatliche Digitalkompetenz sollte auch ein weitere Euro in die Missbrauchskontrolle fließen und die Diskussion darüber sollte forciert werden.

 

* Jürgen Gerhards ist Professor für Soziologie an der FU Berlin, Michael Zürn ist dort Professor für Internationale Beziehungen, außerdem ist er Direktor für Global Governance am Wissenschaftszentrum Berlin.

 

https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/china-gewinnt-im-systemvergleich-bei-corona-pandemie-bewaeltigung-17141504.html  (gebührenpflichtig)

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